Wie Integration in den Gefängnissen aussieht

Aktuell werden vermehrt Flüchtlinge in Deutschland integriert. Auch die Gefängnisse stellen sich dieser Aufgabe.

Zunächst zeigt sich, dass es offensichtlich Unterschiede zwischen den Kulturen gibt:

Uwe Nelle-Cornelsen, Leiter der JVA Bielefeld-Brackwede, erklärte gegenüber der in Bielefeld erscheinenden Neuen Westfälischen, dass es vor allem mit dem arabisch sprechenden Teil der Insassen Schwierigkeiten gebe. „Viele von ihnen akzeptieren keinerlei Regeln.“ Ruhestörung, Randalieren, Auflehnung gegen die Justizbeamten, Einschüchterungen und sogar massive Selbstverletzungen seien an der Tagesordnung. Einige Häftlinge hätten sich selbst den Bauch oder die Kehle aufgeschnitten – offenbar in der Hoffnung, aus der Haft entlassen zu werden.

Was das für die anderen Häftlinge bedeutet, liest man nirgends. Wenn es für die Wärter schon die Hölle ist, was ist dann mit denen, die diesen aggressiven Tätern schutzlos ausgeliefert sind? Egal, wichtig ist, dass speziell den Tätern geholfen wird:

Man habe jetzt die erste Integrationsbeauftragte im NRW-Justizvollzug eingestellt, so Nelle-Cornelsen. Durch die arabischen Sprachkenntnisse erhoffe man sich einen besseren Zugang zu den Häftlingen.

Hier musste ich mir schon eine Träne verdrücken – vor lachen. Endlich wieder Jobs für ansonsten nicht einsetzbare Geisteswissenschaftler. Und so klug durchdacht. Gerade für diese Zielgruppe ist es wichtig, eine Frau auf diese Position zu setzen:

Weibliche Vollzugsbeamte würden nicht anerkannt. „Oftmals muss ein Mann die Anordnungen wiederholen, damit auch Folge geleistet wird.“

Auf diese Art und Weise entstehen sogar zwei neue Jobs, den der Integrationsbeauftragten und den des Mannes, auf den die Insassen hören.

Die Haftanstalten klagten bei diesen Inhaftierten vor allem über eine „fehlende Akzeptanz gegenüber gesetzlichen Vorgaben, Normen und Regeln“, so der Minister. Es gebe „generell dissoziale Verhaltensweisen“.

Und auch in diesem Artikel wieder: Wenn es für die Beamten schon unerträglich ist, was passiert dann mit den anderen Insassen? Was geht dort nachts ab? Greifen die Wärter tagsüber noch ein, wenn es nötig wird? Oder haben sie bereits resigniert und lassen auch mal fünf gerade sein? Ich würde es ihnen nicht vorwerfen – aber die anderen Insassen, die sind die Opfer.

Auch jugendliche Flüchtlinge bereichern uns:

Bilal B. weiß nicht, wann er geboren ist, und vielleicht ist Bilal B. auch nicht sein richtiger Name. Er hat am Frankfurter Hauptbahnhof Koffer aus Zügen gestohlen, unter sieben verschiedenen Identitäten ist er schon vorher als Dieb und Hehler aufgefallen.

Unfassbar. In einem Land, in dem man für falsch Parken oder eine fehlende Umweltplakette bestraft wird – in diesem Land ist es möglich, dass Herr B. wiederholt festgesetzt wurde, weil er kriminell war und immer weiter machen konnte. Niemand stoppt ihn. Sieben mal gibt er unterschiedliche Identitäten an.

Unser System scheint völlig unvorbereitet auf solche Typen zu sein. Jemand der sich an keine Regel hält und immer weiter macht. Und das System lässt ihn machen. Schon mal bei einer Flugreise der Koffer abhanden gekommen? Das ist ein kleiner Einblick in das, was seine Opfer erleben durften.

Er behauptet, 20 Jahre alt zu sein, sieht aber fünf, sechs Jahre älter aus.

Deutschland 2016. Man kann das Alter medizinisch ziemlich gut schätzen. Aber das scheint in Deutschland nicht zu passieren. Dass diese Ignoranz anderen schaden kann, daran denkt niemand. Was ist denn mit den (echten) Minderjährigen in der JVA? Wie finden die das denn, mit einem 25-jährigen Intensivtäter eingesperrt zu sein?

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Wiesbaden, in der B. als Untersuchungsgefangener auf seinen Prozess warten sollte, hat ihn im Februar herausgeworfen. B., so die Begründung, sei aus disziplinarischen Gründen ungeeignet für ein Jugendgefängnis. Selbst, wenn er zu einer Jugendstrafe verurteilt werden sollte, werde ihn die Anstalt in Wiesbaden nicht zurücknehmen.

Für die anderen Insassen hat das bestimmt keine Folgen, wenn die Beamten sich hauptsächlich um einen Personenkreis kümmern müssen. Ihre Resozialisierung funktioniert bestimmt trotzdem tadellos.

Zum Abschluss des Artikel läuft es wieder auf die Parallelgesellschaft raus:

Wie alt K. ist, und das ist ein Teil des Problems im Wiesbadener Jugendgefängnis, ist so klar nicht: Er sagte zuletzt, er sei 21 Jahre und in Zentralmarokko geboren. Eine gerichtlich angeordnete Bestimmung seines Alters brachte kein eindeutiges Ergebnis. Die Jugendgerichtshelferin ging bei seinem vorerst letzten Prozess davon aus, dass K. in der Lage ist, sein Leben selbst zu regeln, als Erwachsener eben. „Aber leider nur in einer Art Parallelgesellschaft.“

Das ist das, was wir brauchen: Mehr Nachschub für die Parallelgesellschaft. So soll es sein: Während die einen Steuern zahlen, für zu schnelles Fahren bestraft werden oder zu Kreuze kriechen müssen, wenn sie Bewerberinnen mit Kopftuch ablehnen, sind die anderen völlig frei, an welche Regeln sie sich halten wollen. Die Polizei kommt besser nicht mehr vorbei – zu gefährlich.

Es wundert mich auch immer wieder, wie emotions- und empathielos in solchen Artikeln mit den Opfern umgegangen wird. Ihre Seite wird nicht erwähnt, ihre Situation nicht dargestellt. Das gilt für die Mithäftlinge und für die Opfer der Straßenkriminalität, als die Täter noch frei waren.

Es steht im krassen Gegensatz zu Berichten, die Erfahrungen emotional aus der Sicht von Flüchtlingen schildern, basierend auf deren eigenen Aussagen. Wo sind die Berichte über die Oma auf dem Weg zu ihren Enkeln, der die Koffer gestohlen wurden? Wo wird über den 15-jährigen Insassen eines Gefängnisses berichtet, dessen Resozialisierung auf gutem Wege war, der dann aber einen Erwachsenen Intensivtäter in seine Zelle bekommen hat?