„Die Jury“ damals und heute: Rassismus aus Hollywood

Neulich habe ich den Film „Die Jury“ gesehen.

Im Film geht es um einen schwarzen Vater (Carl Lee Hailey), der die weißen Vergewaltiger seiner jungen Tochter tötet. Sein weißes Anwaltsteam versucht für den Vater einen Freispruch zu erwirken, formal indem es auf Schuldunfähigkeit plädiert.

Im Kern soll der Jury klargemacht werden, dass der Mord an den Vergewaltigern gerechtfertigt war, die Schuldunfähigkeit dient nur als Vehikel für einen Freispruch, weil es juristisch so etwas wie eine gerechtfertigte Tötung nicht gibt.

Als der Film in den Neunzigern herauskam habe ich ihn gesehen. Er war für mich einer der besten Filme aller Zeiten. Nachdem ich ihn mir vor kurzem erneut angeschaut habe sehe ich den Film völlig anders.

Das beginnt damit, dass er mir heute sehr konstruiert vorkommt. Heute erscheint es mir sehr weit hergeholt, dass ausgerechnet zwei tote Kinderschänder die Weißen dazu bringen den Ku-Klux-Klan wieder aufleben zu lassen.

Damit das wenigstens ein bisschen glaubwürdig erscheint, müssen die Drehbuchschreiber die weißen Rassisten und den Ku-Klux-Klan fast comicartig überzeichnen. Die Mitglieder sind Asoziale von minderer Intelligenz, ihre einzige Motivation ist Rassismus und Rache, andere Dimensionen gibt es nicht. Sie demonstrieren tagsüber in Ku-Klux-Klan-Uniform. Überall hängen Südstaatenflaggen, im Hauptquartier natürlich „KKK“-Flaggen.

Es ist Konsens im Film, dass alle weißen Menschen, mit nur wenigen Ausnahmen, Rassisten sind. Da die Jury rein weiß ist, ist sofort klar, dass es kein faires Verfahren geben wird.

Man versucht den Verhandlungsort zu verlegen, weil die Jury dort fast nur aus Schwarzen bestehen würde. Alle gehen davon aus, dass sie in diesem Fall gewinnen würden.

Den Schwarzen wird damit nichts anderes als Rassismus unterstellt: Der schwarzen Jury, so die Logik des Films, wären zwei tote Weiße egal, sie würden ihren „Bruder“ sofort freisprechen.

Heute stößt mich das ab. In meiner linken Vergangenheit ist mir dieser umgekehrte Rassismus im Film nicht aufgefallen. Hätte ich ihn bemerkt, hätte ich ihn wahrscheinlich als gerechtfertigt empfunden.

Viele Weiße machen im Film sehr deutlich, dass ihnen Hautfarben egal sind. Mehrere Figuren erklären frei heraus, dass sie genauso gehandelt hätten wie der Vater. Dass der Mörder ein Schwarzer ist und seine Opfer Weiße sind, spielt für sie keine Rolle.

Die Schwarzen werden hingegen als verschworene Gruppe dargestellt. Alle haben die gleiche Meinung zu diesem Verfahren, alle würden den Mörder freisprechen. Nur aufgrund ihrer schwarzen Identität. Den Drehbuchschreibern scheint nicht aufgefallen zu sein, wie rassistisch das ist.

Der Mörder Carl Lee Hailey hat nicht im Affekt gehandelt, er bereitet die Tat eine Nacht lang vor. In diesen Stunden könnten ihm Zweifel kommen, er könnte sich die Konsequenzen der Tat überlegen. Er könnte darüber nachdenken, was aus seiner Familie wird, wenn ihr Ernährer im Gefängnis sitzt.

So viel Tiefgang gestehen die Drehbuchschreiber Carl Lee Hailey aber nicht zu.

Seine Familie hält ihn ebenfalls nicht von seiner Tat ab, keiner wundert sich, dass er die ganze Nacht weg ist. Keiner ruft die Polizei, weil er vermutet, dass der Vater Selbstjustiz verüben will.

Schwarze taugen im Film nur dazu wie Kinder zu weinen, wenn die Konsequenzen ihrer Handlungen offensichtlich werden. Theatralisch stellt der Mörder die Frage, was nun mit seiner Familie werden soll. Der Film nimmt Schwarze nicht für voll.

Die Drehbuchschreiber lassen an keiner Stelle erkennen, dass Schwarze sich die Konsequenzen ihrer Handlungen vorher überlegen können. Sie werden als unmündige Kinder dargestellt.

Niemand spricht im Film das Offensichtliche aus: Carl Lee Hailey trägt die Verantwortung für das was passiert, die Konsequenzen der Morde waren vorhersehbar. Auch moralisch werden ihm keine Vorwürfe gemacht.

Die weißen Rassisten hassen einfach nur stumpf den Schwarzen. Nur der Staatsanwalt – nicht aber beispielsweise der Pastor – kritisiert die Tötung zweier Menschen auf der moralischen Ebene, niemand wirft Carl Lee Hailey vor das Überleben seiner Familie zu riskieren.

Es scheint, als solle der Zuschauer von solchen Gedanken abgeschirmt werden, damit er den Mord an den Vergewaltigern nicht moralisch hinterfragt.

Dabei würde es den Vater menschlicher machen, wenn er Zweifel hätte oder wenn beispielsweise seine Frau ihm Vorwürfe wegen der Morde machen würde, weil die Familie jetzt ohne ihn klarkommen muss. Menschlicher Tiefgang scheint den Drehbuchautoren beim Vater nicht wichtig zu sein. Er ist schwarz, das muss reichen.

Irgendwann wirft der Mörder seinem Anwalt vor, er sei einer von „denen“, sie seien kein Team und keine Freunde. Er, der Anwalt, wisse ja nicht einmal wo er wohne und ihre Kinder würden niemals zusammen spielen.

Das ist völlig absurd. Das Leben des Anwalts und seiner Familie wird bedroht, ihr Haus wird abgebrannt. Ganz offensichtlich ist er kein Rassist, sonst würde er in einem solchen Fall keinen Schwarzen vertreten.

Der Anwalt macht im Film deutlich, dass er kein Linker ist, er ist beispielsweise für die Todesstrafe. Er hilft dem Mörder nicht wegen seiner Hautfarbe, sondern nur aus einem einzigen Grund: Würde seine kleine Tochter vergewaltigt werden, würde er die Täter ebenfalls ermorden.

Nach dem Freispruch ist es trotzdem der weiße Anwalt mit seiner Familie, die bei der Siegesfeier der schwarzen Familie vorbeikommt um den Vorwurf, sie seien keine Freunde, zu entkräften.

Der Anwalt riskiert sein Leben und das seiner Familie, weil er den Mörder verteidigt. Sein Haus wird niedergebrannt, aber trotzdem sehen die Drehbuchschreiber ihn in der Bringschuld die Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen abzubauen.

Carl Lee Hailey fordert von seinem Anwalt, der solle so wie „die“ denken, gemeint ist die Jury, jene homogene rassistische Masse.

Das inspiriert den Anwalt dazu im abschließenden Plädoyer die Vergewaltigung des Kindes bis in letzte grausame Detail zu schildern. Er beendet es schließlich mit den Worten „und nun stellen sie sich vor sie sei weiß.“ Alle öffnen entsetzt die Augen und natürlich kommt es jetzt zum Freispruch.

In den 1990-er Jahren habe ich den Spruch nicht auf mich als Zuschauer bezogen. Heute fasse ich ihn als das auf was er ist: Eine pauschale Zuschreibung einer Eigenschaft an eine Gruppe. Die Eigenschaft ist Rassismus und die Gruppe sind alle Weißen.

Der Spruch ist selbst rassistisch. Der ganze Film ist rassistisch.

Früher habe ich das nicht gesehen, weil ich mich selbst als außenstehend gesehen habe. Ich habe den Spruch nicht auf mich bezogen, weil ich mich nicht mit den weißen Südstaatlern im Film identifiziert habe. Ich habe mich nicht als weiß identifiziert.

Heute werde ich von unserer Gesellschaft als weiß identifiziert. Heute wird mir Rassismus vorgeworfen, wenn ich nach der Herkunft eines Menschen frage.

Das führt dazu, dass ich mich auch von den Rassismusvorwürfen des Films auf unangenehme Weise angesprochen fühle.

Heute finde ich den Spruch auch unglaubwürdig. Dieser Spruch kann nur wirken, wenn man pauschal allen Weißen Rassismus unterstellt und annimmt, dass sie sich dessen bewusst sind, dass sie sich davon beschämen lassen und daraufhin ihre Meinung ändern.

Wie wahrscheinlich ist es, dass das bei lebenslangen Rassisten funktioniert?

Das wirkt auch deshalb so aberwitzig, weil der Film ganz klar macht, dass und nun stellen sie sich vor es wäre ihr Kind“ viel wirksamer wäre. Mehrere Figuren haben im Film ausgesprochen, dass sie genauso gehandelt hätten wie Carl Lee Hailey. Ist es nicht viel einfacher Rassisten in Bezug auf ihre Kinder anzusprechen als mit der Tatsache, dass sie Rassisten sind?

Fazit

Ich sehe diesen Film heute mit anderen Augen als vor 20 Jahren.

Die Schwarzen werden im Film so dargestellt, dass ihnen die Hautfarbe ihres Gegenübers wichtig ist. Bei einigen Weißen wird hingegen sehr deutlich, dass ihnen die Hautfarbe egal ist.

Heute fällt mir auf, dass die Schwarzen wie unmündige Kinder dargestellt werden. Sie sind für nichts verantwortlich. Es ist nur die Verantwortung der Weißen die Spannungen zwischen den Rassen abzubauen, selbst wenn für sie die Hautfarbe keine Rolle zu spielen scheint.

Schwarze die sich von Weißen abgrenzen sieht der Film nicht in der Verantwortung auf Weiße zuzugehen.

Die Quintessenz des Films hätte sein können: Wer bei uns im Süden Kinder vergewaltigt, muss sterben. Wir regeln das auf unsere Art. Die Hautfarben von Opfern und Tätern spielen dabei keine Rolle.

Schlimm finde ich, dass der Film in dieser Hinsicht Zweifel sät: Würde eine schwarze Jury einen schwarzen Vergewaltiger verurteilen? Würde sie den weißen Mörder der schwarzen Vergewaltiger seiner Tochter Freisprechen?

Im Film „Die Jury“ gibt es eben kein inklusives „Wir im Süden“. Es gibt nur Weiße, die alle rassistisch sind (nur in unterschiedlichen Abstufungen) und einfältig-unmündige Schwarze.

7 Kommentare zu „„Die Jury“ damals und heute: Rassismus aus Hollywood“

  1. „Früher habe ich das nicht gesehen, weil ich mich selbst als außenstehend gesehen habe. Ich habe den Spruch nicht auf mich bezogen, weil ich mich nicht mit den weißen Südstaatlern im Film identifiziert habe. Ich habe mich nicht als weiß identifiziert.“

    Ausgezeichnete Diagnose, denn heute tun man alles, damit man sich wieder über Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Vorlieben, Glauben etc. identifiziert. Damit kehren wir zurück ins voraufklärerische Zeitalter und jagen in unseren Köpfen die Individualrechte zum Teufel.

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  2. Hat dies auf Goldstein deutsch rebloggt und kommentierte:

    Grisham war schon immer als linke Nudel verschrien und ich fand den Film auch immer schon mäßig. Dennoch muss ich zugeben, dass er vergleichsweise ruhig ist und sich abseits seiner Bücher und im Rahmen seiner Kampagne gegen die Todesstrafe selten öffentlich zu Wort meldet.

    Generell waren die 90 voll von linken Propagandafilmen. Ms Doubtfire, Set it Off, Titanic, Pretty Woman…

    Ich war damals selbst links und fand die Messages gut. Was ich nicht verstand, war, dass andere so gar keine Botschaft herauslesen konnten.

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    1. „Die Jury“ fand ich schon als linksgerichteter Jugendlicher völlig daneben, wobei mir der Rassismus gegenüber Schwarzen nicht mal aufgefallen ist, oops. Aber auch damals habe ich mich nicht angesprochen gefühlt, ich fands einfach daneben. Daher verstehe ich nicht, warum du dich zuerst mit den Weißen identifizieren musstest, um den Rassismus in den Film zu merken?

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    2. „Generell waren die 90 voll von linken Propagandafilmen. Ms Doubtfire, Set it Off, Titanic, Pretty Woman…“

      Was war den an diesen Filmen Propaganda?

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      1. Die Frage ist nicht ihr ernst?!?
        – Doubtfire: Normalisierung von Travestie in einem Film, der auf Familien mit Kindern ausgerichtet ist.
        – Set it off: Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Die Schwarzen werden da quasi von ihrer Armut ins Gewaltverbrechen gezogen und können so schier gar nix dafür.
        -Titanic: Eine mit Zwang verlobte Frau, die volle Kanne von ihrem Verlobten die Fresse poliert kriegt, schnappt sich einen armen Schlucker. Verlobter versucht sie abzuknallen, weil sein verletzter männlicher Stolz wichtiger ist als seine Rettung. Der ganze Film ist mit Bemerkungen zu Snobbismus und Klassenkampf durchzogen. Kein Tatort ist so durchstylt wie Titanic.
        – Man kann das schon vergessen haben, aber die 90er waren die Zeit des Prostitutionsaktivismus. Der zog sich eine Zeitlang auch durch die Nachmittagstalkshows. In Deutschland wurde von den Grünen am Ende der Phase dann das ProstG durchgedrückt.

        Propaganda ist unabhängig davon, ob man die gleichen politischen Ziele hat. Ich bin auch pro-Transen, gegen Gewalt an Frauen usw.

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